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Warum vegan?

Die heute verwendete Definition entstand mit der offiziellen Anerkennung der Vegan Society als gemeinnütziger Organisation im Jahr 1979 und lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:
 

"Veganismus ist eine Lebensweise, die versucht – so weit, wie es praktisch durchführbar ist – alle Formen von Ausbeutung und Grausamkeiten an leidensfähigen Tieren für Essen, Kleidung und andere Zwecke zu vermeiden; und die in weiterer Folge die Entwicklung und Verwendung von tierfreien Alternativen zu Gunsten von Mensch, Tier und Umwelt fördert. In Bezug auf die Ernährung bedeutet dies den Verzicht auf alle Produkte, die zur Gänze oder teilweise von Tieren gewonnen werden."

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Inzwischen muss es überhaupt kein Verzicht sein, da es eine Vielzahl an veganen Alternativen gibt.

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Eco statt Ego - Blick in eine empathische Zukunft

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Wir alle kennen die Bilder aus der Massentierhaltung: Federlose Hühner mit verdrehten Beinen, dreckige Schweine, die leblos vor sich hinstarren, Kühe mit Eutern so dick, dass sie kaum gehen können, während ihre Kälber weit weg in Käfigen stehen, in denen sie sich nicht einmal umdrehen können. Manche Menschen regen diese Bilder an, über ihre Essgewohnheiten nachzudenken oder sie sogar zu ändern. Andere schauen weg und bauen eine Mauer um ihr Herz. Was fühlst du, wenn du diese Bilder siehst? Wut, Angst, Scham, Ekel, Hilflosigkeit, … Keine schönen Gefühle. Wir alle wissen, dass das nicht richtig ist. Aber was tun? Es ist, wie es ist. Oder?

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Aufklärung über Tierleid geht aber auch anders: 

Zum Beispiel auf dem Lebenshof Tierlieben in Ammerbuch bei Tübingen. Dort bringt Gitta Haas allen Altersgruppen einen respektvollen Umgang mit Tieren näher. Der Hof liegt außerhalb des Dorfes in einer hügeligen Landschaft aus Streuobstwiesen und Waldstücken. Nach einem knapp zehnminütigen Marsch bergan wird man von einem großen, offenen Holzgatter empfangen. Das Gelände ist im Winter etwas matschig, im Sommer sicherlich ein kleines Paradies. In einer schiefen Holzhütte bekommt man Punsch und Suppe, um sich aufzuwärmen. Überall ist man willkommen. Es wird gelacht und geplaudert. Zwischen den knorrigen Obstbäumen und den alten Himbeerhecken rennen Kinder und Tiere umher. Es riecht nach Lagerfeuer, Frost und Stroh, kein bisschen so, wie man das aus der Nähe eines Kuhstalls kennt.

Mitten im Trubel steht eine Frau mittleren Alters, warm eingepackt mit rot-blonden langen Haaren. Gitta Haas ist die Gründerin und Besitzerin des Hofes. Ruhig und ehrlich erzählt sie den Besuchern die Geschichten der Tiere und ihre eigene und klärt nebenbei über Massentierhaltung auf. Die gelernte Ergotherapeutin bezeichnet sich selbst als schon immer empathisch mit Tieren. Als Kind ergab es für sie keinen Sinn, warum man süße Lämmer auf der Weide streichelt und sie danach als Sonntagsbraten isst. Wie allen bringt die Gesellschaft ihr aber bei, dass man Fleisch und Milch braucht. Sie glaubt es fast. Als Erwachsene erinnert sie sich wieder und beginnt, sich zu informieren und will aufklären. Doch der Gegenwind ist stark. Vegetarisch? Okay. Aber vegan?? Sie argumentiert nicht lange, sondern kocht einfach gut und zeigt, dass man auch vegan leben kann.
Wichtig war ihr auch das Vernetzen, Gleichgesinnte zu finden. Sie unterstützt Tierschutzaktionen, aber die Eindrücke belasten sie zu sehr. Der beißende Gestank, die eingepferchten Tiere mit ihrer aussichtslosen Zukunft. In dieser Zeit lernt sie das Konzept der Lebens- bzw. Gnadenhöfe kennen und ist berührt von den schönen Bildern: Gerettete Tiere, die ein Zuhause finden und einfach leben dürfen, ohne einen Zweck für Menschen zu haben. Einige Tiere hatten bereits bei Gitta ein Zuhause gefunden, als sie weitere Tiere aufnimmt. Eine Gruppe Schafe,
die im Tierheim keinen Platz finden, da sie Nutztiere und keine Haustiere sind, kommen auch zu ihr. Gitta zieht die Jungtiere selbst mit der Flasche auf. Sie erinnert sich an die schöne Gemeinschaft mit Nachbarn, die alle mit anpackten. Nach und nach entsteht so auf dem geerbten Streuobstwiesengrundstück der Lebenshof. Sie weiß, dass der Hof nicht alle Tiere retten kann. Sie kann ein paar Tiere aufnehmen und ihnen ein schönes Leben ermöglichen. Aber vor allem kann sie mit dem Hof aufklären, über die Missstände in der Tierindustrie und die Chancen des Veganismus.


Das Gelände ist ein Labyrinth aus weitläufigen Gehegen, die man alle besuchen darf. Und wenn sich eine Ziege irgendwie zu den benachbarten Hühnern geschmuggelt hat, dann wird sie ganz entspannt wieder zu ihren Artgenossen gebracht. Die Hühner hat das am wenigsten gestört. In einem der Gehege steht am Rand eine hölzerne Burg, wo die Kinder spielen können und wenn sie sich trauen, ganz vorsichtig die Tiere streicheln und beobachten. Den Kindern, die auf dem Hof mit Tieren in Berührung kommen, muss man gar nicht mehr viel erklären, meint Gitta. Sie verstehen von allein, dass das Lebewesen sind, wie sie selbst, und kein lebloses Essen. Und genau das ist der Schlüssel: der Kontakt zur Natur und Tieren. Wir Menschen sind so weit weg davon in unserem Alltag. Wir müssen unsere Empathie Tieren gegenüber wieder erlernen, meint Gitta. Auf ihren Hof kommen nur vegane Lebensmittel. Auch das Vesper der Kinder soll vegan sein. Mit Infobriefen klärt sie die Familien auf. Manche lassen sich inspirieren, ändern teilweise die Ernährung der Familie. Aber viele sind auch besorgt um die Gesundheit ihrer Kinder. Die Meinung, dass tierische Produkte lebenswichtig sind, hält sich immer noch stark. Gitta begegnet aber auch immer wieder Menschen, die ganz wegschauen oder sich von ihr angegriffen fühlen. “Das ist meine freie Entscheidung” hört man oft.

 

“Aber die eigene Freiheit endet da, wo man anderen Leid zufügt”, meint Gitta. Und es ist eben nicht nur eine Entscheidung, die einen persönlich betrifft. Von der moralischen Frage abgesehen, sind die Auswirkungen auf das Klima enorm. Tierprodukte sind verantwortlich für über 80% der Regenwaldabholzung und enorme CO2 Emissionen. Die grausamen Bedingungen der Massentierhaltung betreffen außerdem nicht nur die Tiere, auch die Arbeitsbedingungen in den Fabriken sind unerträglich. “Eigentlich muss die Menschheit merken, dass wir uns selbst ausrotten und [dass wir] unseren Fleischkonsum drastisch reduzieren müssen.” Die WHO empfiehlt 30 kg Fleisch pro Kopf pro Jahr. Die Deutschen verzehren im Durchschnitt über 55 kg/Kopf. Weltweit liegt der Durchschnitt bei 42 kg/Kopf und variiert zwischen 3 kg/Kopf in Indien bis zu 90 kg/Kopf in den USA. Und der Fleischkonsum steigt immer weiter an. Verantwortlich dafür sind zu gleichen Teilen das Bevölkerungswachstum und der steigende Wohlstand. Würde die ganze Weltbevölkerung so essen, wie wir Deutschen, wäre das rein flächenmäßig gar nicht möglich. Bereits jetzt werden 75% der landwirtschaftlichen und 1/3 der gesamten Landfläche für den Anbau von Futtermitteln gebraucht. Uns geht schlichtweg die Landfläche aus. Und wenn wir 2050 noch alle knapp 10 Milliarden Menschen ernähren wollen, müssen wir unsere Ernährung ändern. Dennoch halten viele stur an alten Vorstellungen und Gewohnheiten fest. Vegan sei doch auch so teuer.

Gitta kann nicht verstehen, warum Menschen bei ihrer Ernährung sparen wollen. “Nahrungsmittel und unsere Umwelt sind doch das Wertvollste, das wir haben!”. Tierische Produkte sind oft sehr billig, da sie durch geringere Steuern indirekt gefördert werden. Die wahren Kosten sind deutlich höher, denn am Ende zahlen wir mit unserer Zukunft. Aber für Gitta ist klar, wer sich angegriffen fühlt, macht dicht. Auch wenn es manchmal schwer ist, muss man offen und respektvoll bleiben, meint sie. Wie vielen Veganer*innen erging es auch ihr am Anfang. Als sie verstanden hatte, worum es beim Veganismus geht und warum er wichtig ist, wollte sie, dass alle anderen es auch direkt verstehen. Aber die Werte, die seit Generationen in einer Gesellschaft bestehen, zu ändern braucht Zeit. “Ich hoffe, dass es in Zukunft als eines der größten Verbrechen der Menschheit gesehen wird und wir uns fragen, wie das passieren konnte.” Und wir sind auf einem guten Weg. Die Zahlen der Veganer*innen und die der veganen Produkte auf dem Markt steigen rasant. Und neue Lebensmittel wie Laborfleisch werden unsere Ernährung revolutionieren. Laborfleisch, das sich chemisch nicht von “echtem” Fleisch unterscheidet und auf der Stammzellenforschung basiert, trennt das Lebensmittel von Tier und Umwelt und öffnet ganz neue Möglichkeiten.

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Auf ihrem Lebenshof Tierlieben leistet Gitta Haas einen wertvollen Beitrag auf dem Weg in die Zukunft. Eine neue Generation kommt wieder in Berührung mit der Natur. Die Kinder lieben Schweine und Hühner ebenso sehr wie Hunde. Sie vergraben liebevoll ihre Hände in der warmen Wolle der Schafe, streicheln vorsichtig das glatte Fell der Ziegen. Auf einem Lebenshof existiert kein Speziesismus. Der Begriff bezeichnet die moralische Diskriminierung allein anhand der Artenzugehörigkeit und unabhängig davon, ob die Tieren ein Schmerzempfinden haben. Aber vielleicht werden wir in Zukunft eine Katze und ein Huhn gleich lieben können. Vielleicht werden wir ein Schwein nicht als einen Burger oder ein dreckiges, stinkendes Tier sehen, sondern als selbstständiges Lebewesen mit eigenem Charakter, Gedanken und Gefühlen. Mit Ich-Bewusstsein und einem Herzen, das unserem gar nicht so unähnlich ist. Wenn ich auf dem Lebenshof die Schweine mit fliegenden Ohren über die Wiese rennen sehe, die ganz individuell schillernden Federn der Hühner bewundere und Kuh und Kalb - Mutter und Kind - gemeinsam auf der Weide stehen sehe, dann spüre ich Hoffnung, Freude, Zuversicht. Leben! Deswegen lebe ich vegan und deswegen habe ich die Kraft, wieder und wieder negativer Kritik entgegenzustehen. Diese Bilder inspirieren mich, eine respektvolle, empathische Zukunft zu sehen und dafür zu kämpfen. Kannst du dir eine solche Zukunft vorstellen?

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Clara Esser 25.01.23

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